Leseprobe:

Aus: Hitler will die Diktatur - der Reichstagsbrand

"Denn die Weltanschauung ist unduldsam und kann sich mit der Rolle einer 'Partei neben anderen' nicht begnügen, sondern fordert gebieterisch ihre eigene, ausschließliche und restlose Anerkennung sowie die vollkommene Umstellung des gesamten öffentlichen Lebens nach ihren Anschauungen. Sie kann also das gleichzeitige Weiterbestehen einer Vertretung des früheren Zustandes nicht dulden."1
Hitler wollte nicht abhängig von der Unterschrift eines Reichspräsidenten sein, er wollte auch keine Rücksichten auf einen Koalitionspartner nehmen müssen und er wollte schon gar nicht von der Zustimmung eines Parlamentes abhängig sein. "Ich will nur die Macht. Wenn wir einmal die Macht bekommen, dann werden wir sie, so wahr uns Gott helfe, behalten. Wegnehmen lassen wir sie uns dann nicht mehr."2 Aber als er am 30.1.1933 von Hindenburg zum Reichskanzler ernannt wurde, war er abhängig von Hindenburgs Unterschrift unter seine Notverordnungen, musste er Rücksichten nehmen auf seine Koalitionspartner von der DNVP, die ihn, Hitler, "kirre kriegen" wollten (Schleicher) und ihn binnen "zwei Monaten [...] in die Ecke gedrückt [haben wollten], dass er quietscht" (Papen), war er eingezwängt in die ihm verhasste Weimarer Verfassung und als Reichskanzler abhängig von der Zustimmung des Reichstags.
Die Frage war nun für Hitler, was er anstellen musste, um der unumschränkte, allmächtige "Führer" Deutschlands zu werden, derjenige, der jeden, der es wagen sollte, "die Hand [gegen ihn] zu erheben", ins Jenseits schicken konnte. Also, was tun? - Hitlers Idee: Er brauchte ein Gesetz, ein Gesetz, das es ihm erlaubte, auch gegen die Verfassung zu regieren, das es ihm erlaubte, legal jedes Gesetz zu machen, das er wollte, ohne dass jemand dagegen vorgehen konnte. Und diese Möglichkeit gab es tatsächlich: Er brauchte ein Ermächtigungsgesetz, wie es der Reichstag schon einmal am 13.10.1923 einem Reichskanzler, Stresemann, zugebilligt hat, als ein Staatsnotstand herrschte, als es darum ging, mit einer Neugestaltung der Währung den Bestand des Deutschen Reiches als solches zu sichern. Aber "es enthielt Bedingungen, die die parlamentarischen Rechte der Volksvertreter sicherten" und "die Dauer des Gesetzes war [...] auf weniger als sechs Monate begrenzt"3.
Das durfte natürlich nicht sein; sein Ermächtigungsgesetz durfte seine Macht in keiner Weise einschränken und gefährden und es durfte keine zeitliche Begrenzung des Gesetzes geben.
Dass die kommunistischen und sozialdemokratischen Abgeordneten einem solchen Gesetz zustimmten, war praktisch ausgeschlossen, das war ihm klar und ihm war auch klar, dass er - wegen der verfassungsändernden Wirkung eines solchen Gesetzes - eine Zweidrittelmehrheit für dieses Gesetz bei der Abstimmung im Reichstag brauchte. Wenn alle Abgeordneten der "bürgerlichen Parteien", des Zentrums, der Deutschnationalen Volkspartei, der Bayerischen Volkspartei, der Deutschen Staatspartei, des Volksdienstes (Evangelische Bewegung), der Deutschen Bauernpartei und der Deutschen Volkspartei, für dieses Ermächtigungsgesetz stimmen würden, dann hätte er diese Zweidrittelmehrheit, dann hätte er sie im Sack, dann könnte er unumschränkt diktatorisch regieren, dann müsste er auf niemanden und nichts mehr Rücksicht nehmen. Ihm fehlte nur noch der Staatsnotstand, ein Ereignis, mit dem er diese "wachsweichen bürgerlichen Hosenscheißer" so einschüchtern konnte, dass er ihrer Ja-Stimme sicher war.
Und das war für Hitler, einen Mann, der weder die Lüge noch den Betrug scheute, einen Mann, der sich mehrfach gebrüstet hat, alle Gewissens- und Mitleidsregungen bei sich restlos "ausgemerzt" zu haben, nicht wirklich ein Problem. So wie er später den Anlass für den Einmarsch in Polen - den angeblichen Überfall von Polen auf den deutschen Sender in Gleiwitz - selbst inszenierte, so denkt sich Hitler hier etwas aus, das für die bürgerlichen Abgeordneten als Staatsnotstand gelten kann: Die Kommunisten im Reich planten einen Aufstand, eine gewaltsame Revolution und als Fanal für den Beginn des kommunistischen Aufstandes zünden sie das Reichstagsgebäude in Berlin an. Gott sei Dank ist aber jetzt Hitler der Reichskanzler und dieser schützt und rettet alle armen, verschreckten Adligen, Bürger und bürgerlichen Abgeordneten - bloß braucht er dafür natürlich mehr Vollmachten, uneingeschränkte Macht zur Niederschlagung dieser kommunistischen Hydra (das versteht sich doch, das sieht doch auch ein bürgerlicher Abgeordneter ein, nicht wahr?!), dazu braucht er also ein Ermächtigungsgesetz.
Hitler bespricht sich mit Goebbels und Göring und die Inszenierung beginnt. [...]

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