.
Jesus war noch gar nicht so lange verschwunden, da behaupteten seine früheren Helfer, seine Jünger, er sei von den Toten auferstanden. Das war starker Tobak, auch schon zur damaligen Zeit, in welcher der Glaube an Geister und Dämonen, an Zauberei und Wunder weit verbreitet war. Ihr "Beweis": Man habe Jesus in seinem Grab nicht mehr vorgefunden. Tatsächlich: Das älteste Evangelium, das "Markus"-Evangelium, berichtet (16,1 ff.): "Als der Sabbat vorüber war, kauften Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um damit zum Grab zu gehen und Jesus zu salben. Am ersten Tag der Woche kamen sie in aller Frühe zum Grab, als eben die Sonne aufging. Sie sagten zueinander: Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen? Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war; er war sehr groß. Sie gingen in das Grab hinein und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war; da erschraken sie sehr. Er aber sagte zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazaret, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden; er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wohin man ihn gelegt hat. Nun aber geht und sagt seinen Jüngern und dem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat. Da verließen sie das Grab und flohen; denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt. Und sie sagten niemandem etwas davon; denn sie fürchteten sich."
Wie man sieht, war die Auferstehung eines Toten selbst für die drei Frauen so ungewöhnlich, dass sie vor Schrecken und Entsetzen aus dem Grab flohen. Es kann also eigentlich nicht verwundern, dass auch die Jerusalemer am Verstand der Jesus-Jünger zweifelten, als diese auf der Gasse herumrannten und behaupteten, Jesus sei von den Toten auferstanden: Passanten vermuteten, sie seien "vom süßen Wein betrunken". Gott habe Jesus, so behauptete Petrus, "von den Wehen des Todes befreit und auferweckt", wofür alle Jünger Zeugen seien. (Apg 2,13 - 36) Nachdem diese Sichtweise von der Kirche - auch mit Gewalt - durchgesetzt worden war, dauerte es immerhin bis zum Zeitalter der Aufklärung, ehe wieder Zweifel an der Auferstehungsthese laut wurden. Man entdeckte Ungereimtheiten, Widersprüche: Schon die Behauptung von Petrus, alle Jünger seien Zeugen der Auferstehung, hält einer genaueren Nachprüfung nicht stand: Fakt ist: Niemand vom Jesus-Anhang war dabei, als Jesus das Grab verließ, und schon gar nicht seine Jünger, und schon zu Zeiten der Jünger vermuteten "die Juden" (Mt28,13 - 15): "Seine Jünger sind bei Nacht gekommen und haben ihn gestohlen". Dieses "Gerücht" hielt sich so hartnäckig und war so verbreitet, dass sich auch der christliche Missionar Paulus von Tarsus damit herumschlagen musste (1 Kor 15,1 ff.): "Er ist am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen. Danach erschien er dem Jakobus, dann allen Aposteln. Zuletzt erschien er auch mir". Und hellsichtig stellt Paulus fest: "[...] wie können [...] einige von euch sagen: Eine Auferstehung der Toten gibt es nicht? Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube." (1 Kor 15,12 - 14)
Wenn wir davon ausgehen, dass Jesus tatsächlich nach seiner Kreuzigung und Grablegung verschiedenen Personen persönlich begegnet ist, mit ihnen gesprochen, ja, mit ihnen gegessen hat, dann ist die Zeit zwischen der Grablegung und der ersten Begegnung Jesu mit einer Person danach eine "Blackbox", deren Inhalt niemand, wirklich niemand kennt. Die Frage, was in diesen drei Tagen nach der Grablegung geschehen ist, kann niemand mit Sicherheit beantworten.
Und nun kommt die Zeit der Aufklärung und der Ablehnung des Wunderglaubens und es wird der Versuch unternommen, die möglichen Ereignisse nach der Grablegung rational zu rekonstruieren - ohne an Wunder glauben zu müssen.
Ein gewisser Hermann Samuel Reimarius (1694 - 1768), Gymnasialprofessor für orientalische Sprachen in Hamburg, verfasste unter anderen Texten die Schrift "Von dem Zwecke Jesu und seiner Jünger", über die Albert Schweitzer in seinem Werk "Geschichte der Leben-Jesu-Forschung"1 auf den Seiten 57/8 bemerkt: "Von der Großartigkeit der Darstellung in dem Fragment 'Vom Zwecke Jesu und seiner Jünger' kann man nicht genug sagen. Diese Schrift ist nicht nur eines der größten Ereignisse in der Geschichte des kritischen Geistes, sondern zugleich ein Meisterwerk der Weltliteratur." Bereits zu dieser Zeit hatte Reimarius etwas erkannt, was bis heute die Theologen nicht wahrhaben wollen: Dass Jesus nicht deshalb gekreuzigt werden wollte, um zu leiden und zu sterben. Reimarius vermutet, er habe als davidischer Messias ein weltliches Reich aufrichten und die Juden aus ihrer (römischen) Gefangenschaft erlösen wollen (s. Schweitzer, S. 62). Dabei habe er am Kreuz auf die Hilfe Gottes vertraut. Als diese ausblieb, habe er sein Leben mit den Worten "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen!" beschlossen.
"Für die Jünger [die wie Jesus damit gerechnet hatten, er werde von Gott am Kreuz zum Messias gekürt] bedeutete diese Wendung der Dinge die Vernichtung der Träume, um derentwillen sie Jesus nachgefolgt waren. Denn wenn sie etwas um seinetwillen aufgegeben hatten, so war es nur, um es hundertfältig wiederzubekommen, wenn sie einst als Freunde und Minister des Messias, als Richter der zwölf Stämme Israels vor der Welt offenbar würden. Diese sinnliche Hoffnung hat ihnen Jesus nie genommen, sondern sie im Gegenteil darin bestärkt [s. dazu Mk10,28 - 30]. Als er den Rangstreit entschied und die Forderung der Söhne Zebedäi beantwortete [s. dazu Mk10,35 - 40], griff er die Voraussetzung, dass es sich um ein Herrschen handele, nicht an, sondern ließ sich nur über die Art aus, wie sie für den Augenblick das Anrecht auf jene Herrschaft erwerben müssten.
Das setzt voraus, dass der Zeitpunkt der Erfüllung jener Wünsche von Jesus mit den Jüngern nicht allzu fern gedacht wurde. So sagt er Mt16,28: ‚Wahrlich ich sage euch: Es stehen etliche hier, die den Tod nicht schmecken werden, bis sie den Menschensohn sehen, kommend in seinem Reiche.' Da ist nichts zu drehen und zu deuteln: Jesus verheißt die Erfüllung aller messianischen Hoffnungen vor dem Ende jener Generation." (Schweitzer, S. 62)
Was machten nun die Jünger, als das nicht eingetroffen war, womit sie gerechnet hatten? Ein Toter konnte schlecht der Messias sein, als Messias konnte er nur dann gelten, wenn er nach seinem Tod auferstanden war. "Nun überlegen sie miteinander, was geschehen solle. Zur alten Hantierung zurückzukehren, war ihnen zu sauer; die Freunde des Messias hatten auf ihren Reisen das Arbeiten verlernt. Sie hatten gesehen, dass die Predigt des Gottesreichs ihren Mann wohl nährt; auch als er sie ohne Tasche und Geld aussandte, hatten sie nicht gedarbt. Die Weiber, von denen Lk8,2.3 berichtet, hatten es sich angelegen sein lassen, den Messias und seine künftigen Minister gut zu beköstigen.
Warum diese Existenz nicht fortsetzen? Es würden sich sicher Gläubige genug finden, sich mit ihnen zusammenzutun, um mit ihnen der zweiten Ankunft des Messias zu harren und in Erwartung der kommenden Herrlichkeit ihre Habe mit ihnen zu teilen. So stahlen sie den Leichnam Jesu, verbargen ihn und verkündigten aller Welt, er sei auferstanden [in den Himmel aufgefahren] und werden bald wiederkommen. Vorsichtigerweise warteten sie aber mit dieser Botschaft fünfzig Tage, dass der Leichnam, wenn man ihn finden sollte, durch Verwesung unkenntlich wäre." (Schweitzer, S. 63) Als sich dann die versprochene Wiederkunft des Messias Jesus hinauszog, hätte man mit solchen Sophismen wie, dass vor Gott tausend Jahre wie ein Tag seien, die Gläubigen hingehalten, vertröstet und eingeschläfert, sodass "'die folgenden Christen und Kirchenväter sich durch eitle Hoffnungen bis in alle Ewigkeit halten konnten.' [...] Unser Christentum beruht auf Trug, insoweit das Nichteintreffen der eschatologischen Erwartung darin nicht eingestanden ist. [...] Dies [ist] die Konstruktion des Reimarius." (Schweitzer, S. 64)
Mit dieser "Konstruktion" geht Reimarius von einer Verschwörung der Jünger aus; diese Verschwörung habe den Zweck gehabt, für den Rest ihrer Lebenszeit ein sorgenfreies, bequemes Leben führen zu können. Nach ihrem Tod war das Christentum zu einem Selbstläufer geworden, der auch den Vertretern der Kirche(n) bis in alle Ewigkeit auf Kosten der Gläubigen ein sorgenfreies Wohlleben erlaubte.
Während Reimarius davon ausging, dass Jesus tatsächlich am Kreuz gestorben ist und tot war, vermutete Karl Friedrich Bahrdt (1741 - 1792) in seiner romanhaften Darstellung des Lebens Jesu, er sei nicht wirklich tot gewesen und folglich auch nicht von den Toten auferstanden, sondern reanimiert worden. Wie Reimarius legt auch Bahrdt seiner Darstellung eine Verschwörungstheorie zugrunde, jedoch sind es bei ihm nicht die Jünger, die sich verschwören, sondern die Essener, eine jüdische Glaubensgemeinschaft zu Jesu Zeiten.
"Den Schlüssel zur Erklärung des Lebens Jesu findet Bahrdt in dem Auftreten des Nikodemus [s. Joh3,1 ff.] und des Joseph von Arimathia [s. Mk15,42 ff.]. Sie sind nicht Jesu Jünger, sondern gehören den vornehmen Kreisen an. Welche Rolle haben sie im Leben Jesu gespielt und wie kamen sie dazu, sich für ihn zu interessieren? Sie waren Essener. Dieser Orden hatte seine geheimen Mitglieder in allen Gesellschaftskreisen, auch im Hohen Rat. Er hatte es sich zur Aufgabe gesetzt, das Volk von seinen sinnlichen messianischen Hoffnungen loszureißen und es zu einer höheren geistigen Erkenntnis zu führen. Seine Verbindungen reichten bis nach Babel und Ägypten. Um das Volk aus dem national beschränkten Glauben, der nur Aufruhr und Empörung hervorbrachte, zu befreien, musste man einen Messias finden, der die falsche messianische Erwartung vernichtete. Darum fahndeten sie nach einem Messiasprätendenten, den sie ihren Zwecken dienstbar machen konnten.
Auf Jesus wurde der Orden gleich bei seiner Geburt aufmerksam. Er war der natürliche Sohn Marias. Das Kind wurde von den Brüdern auf Schritt und Tritt überwacht. Auf den Festen zu Jerusalem machen sich alexandrinische Juden, geheime Essener, an ihn heran, klären ihn über den Priesterbetrug auf, flößen ihm Abscheu vor der Schlächterei im Tempel ein und machen ihn mit Sokrates und Plato bekannt. [...]
Ein geheimnisvoller Perser gibt ihm auf dem Markt zu Nazareth zwei Geheimmittel: eines für böse Augen, das andere, um Nervenkranke zu heilen. Sein Vater tut das Beste für ihn. Er belehrt ihn, zugleich mit seinem Vetter Johannes, dem späteren Täufer, über Tugend und Unsterblichkeit. Ein Priester aus dem Essenerorden, der sich als Hirt zu ihnen gesellt und in ihr Zwiegespräch eingreift, führt die Knaben tiefer in die Weisheit ein. Mit zwölf Jahren ist Jesus schon so weit, dass er im Tempel mit den Schriftgelehrten über die Wunder disputiert und die Behauptung ihrer Unmöglichkeit aufstellt.
Als sie sich zum öffentlichen Auftreten reif fühlen, beraten die beiden Vettern, wie dem Volk am besten zu helfen wäre. Sie kommen darin überein, ihm die Augen über Priestertyrannei und Priesterbetrug zu öffnen. Durch Haram, ein hervorragendes Mitglied der essenischen Gesellschaft, wird Lukas, der Arzt, bei Jesus eingeführt und stellt ihm sein ganzes Wissen zur Verfügung.
Um etwas auszurichten, müssen sie sich dem Aberglauben des Volkes akkomodieren [anpassen] und ihre Weisheit unter dem Mantel der Torheit an die Leute bringen, ob [auf dass] die Menge, durch den Schein getäuscht, sich der Vernunftoffenbarung öffnen möchte und nach einiger Zeit imstande wäre, sich vom Aberglauben zu emanzipieren. Jesus sieht sich also genötigt, in der Rolle des erwarteten Volksmessias aufzutreten und sich zu entschließen, mit Wundern und Täuschungen zu operieren. Seine Skrupel sind groß. Er muss aber dem Orden gehorchen und wird beruhigt durch den Hinweis auf den hohen Zweck, der mit diesem Verfahren erreicht werden soll. Zuletzt fügt er sich, da ihm nachgewiesen wird, Moses habe es auch nicht anders gemacht. Die hohe Gesellschaft übernimmt die Verpflichtung, die Wunder zu inszenieren und den Vater zu unterstützen.
Bei der Aufnahme Jesu in die Zahl der Brüder des ersten Grades wird ihm eröffnet, dass diese gehalten sind, für die Sache des Ordens in den Tod zu gehen, wobei der Orden aber verspricht, seine Maschinerien und Einflüsse so spielen zu lassen, dass das Äußerste jedes Mal abgewandt wird und sie auf geheimnisvolle Weise dem Tode entrissen werden.
So beginnt das raffiniert inszenierte Stück, durch welches das Volk zur Vernunftreligion bekehrt werden soll. Die Anhänger des Ordens gliedern sich in drei Klassen: Getaufte, Jünger und Auserwählte. Die Getauften empfangen nur die gewöhnliche populäre Lehre; die Jünger werden näher in die Weisheit eingeführt, erfahren aber die letzten Geheimnisse nicht; die Auserwählten, in den Evangelien auch 'Engel' genannt, sind in alles eingeweiht. Da die Apostel nur den zweiten Grad besaßen, ahnten sie von der geheimen Maschinerie nicht das Geringste. Sie waren die eifrigen Statisten. Die von ihnen verfassten Evangelien berichten daher unbefangen von Wundern, welche doch die Essener inszeniert haben, und schildern uns die Lehre Jesu nur in ihrer populären Form.
Darum ist es uns nicht mehr möglich, immer zu erkennen, wie die als Wunder von ihnen geschilderten Vorgänge zustande gekommen sind. [...]
Die Mitglieder des Ordens trafen sich an bestimmten Tagen in den Höhlen des Gebirges. So oft im Evangelium vorkommt, dass Jesus auf einen Berg allein ging, um zu beten, will dies heißen, dass er zu einer solchen geheimen Versammlung sich begab; nur dass es die Jünger natürlich nicht wussten. Der Orden hatte allenthalben seine verborgenen Höhlen, in Galiläa sowohl wie in der Umgebung Jerusalems.
'Nur durch Sinnliches wird Sinnliches überwunden.' Der Judenmessias muss sterben und auferstehen, damit die falsche populäre Messiasvorstellung erfüllt und zugleich vernichtet, d. h. vergeistigt wird. Nikodemus, Haram und Lukas haben sich in einer Höhle zusammengefunden, um zu beratschlagen, wie man das Ende Jesu planmäßig herbeiführen könne. Lukas garantiert, dass der Herr, auf Grund von Arzneien, die er ihm gibt, die äußersten Schmerzen und Leiden aushalten kann und doch dem Tod einen langen Widerstand entgegenzusetzen imstande ist. Nikodemus macht sich anheischig, im Hohen Rat alles so zu führen, dass die Verurteilung und die Hinrichtung Schlag auf Schlag folgen und der Gekreuzigte nur kurze Zeit am Kreuz bleibt. [...]
Zuletzt gelingt es, alles richtig zu inszenieren. Jesus provoziert die Behörden durch den messianischen Einzug. Die geheimen Essener im Hohen Rat betreiben seine Verhaftung und setzen seine Verurteilung durch. [...] Jesus bekundet durch Aufschreien und alsbaldiges Sinkenlassen des Kopfes einen raschen Tod. Der Hauptmann war bestochen, dass er ihm kein Bein brechen ließ. Dann kommt Joseph von Ramath, so heißt Joseph von Arimathia bei Bahrdt, nimmt den Leichnam und stellt in der Essenerhöhle Wiederbelebungsversuche an. Da Lukas den Körper des Messias 'durch stärkende Mittel vorbereitet hatte, um die entsetzlichen Misshandlungen, Umherschleppungen, Prügel und endlich die Kreuzigung selbst aushalten zu können', waren die Wiederbelebungsversuche von Erfolg gekrönt. In der Höhle wurde er ausgezeichnet genährt. 'Seine Wunden, da seine Säfte vollkommen gesund waren, heilten sehr leicht, und er konnte den dritten Tag schon wieder auftreten, ohngeachtet die Löcher noch offen waren, welche die Nägel ihm gemacht hatten.'
Am Morgen des dritten Tages drängten sie den Stein, der das Grab schloss, von innen heraus weg. Als er über den Felsen des Berges herabstürzte, erwachte die Wache und ergriff die Flucht. Einer der Essener tritt als Engel zu den Weibern und kündigt ihnen die Auferstehung Jesu an. Kurz darauf erscheint der Herr der Maria. Als sie seine Stimme hört, erkennt sie ihn. 'Hierauf sagt ihr Jesus, dass er zu seinem Vater gehe (in den Himmel - im mystischen Sinne des Wortes - nämlich unter die Auserwählten, in die stillen Wohnungen der Wahrheit und Seligkeit - in den Zirkel seiner Vertrauten, wo er ein unsichtbares Leben für seinen Zweck fortlebte), und sie solle seinen Jüngern es sagen, dass er lebe.'
Aus dieser Verborgenheit heraus erschien er den Jüngern mehrmals. Zuletzt beschied er sie auf den Ölberg bei Bethanien, wo er von ihnen Abschied nahm. Nachdem er sie vermahnt und jedem um den Hals gefallen, riss er sich auf einmal los und wandelte den Berg hinan. 'Da stunden die armen Leute - betäubt - vor Schmerz außer sich - sahen ihm nach, solange sie konnten. Aber je höher er stieg, desto tiefer kam er in die Wolken hinein, die auf dem Berge lagen. Und endlich war er gar nicht mehr zu sehen. Die Wolke nahm ihn weg vor ihren Augen.'
Vom Berge kehrte er in die Mutterloge zurück. Nur selten griff er noch in die Ereignisse ein, so, als er dem Paulus auf dem Wege nach Damaskus entgegentrat. Aber unsichtbar leitete er die Geschicke der Gemeinde bis zu seinem Ende."2
Soweit der Bahrdt'sche Roman. Ebenfalls einen Roman über Jesus verfasste Karl Heinrich Georg Venturini (1768 - 1849), der wie Bahrdt von einer Verschwörung der Essener ausging. Im Gegensatz zu Bahrdt geht aber der essenische Plan schief und Jesus stirbt scheinbar tatsächlich am Kreuz. Er war aber nicht wirklich tot und durch ein Erdbeben erwacht er im Grab aus seinem Koma. Am Morgen hört ein Erlöserbruder in weißer Ordenstracht, der während des Erdbebens "auf einem geheimen Pfad zum Grabe" gegangen war, "aus dem Grabe einen Laut. Jesus regt sich. Der ganze Orden kommt herbei. Der Herr wird ins Ordenshaus gebracht." (s. Schweitzer, S. 87) Usw.
Was ist von den Verschwörungstheorien von Reimarius, Bahrdt und Venturini zu halten? Für Reimarus stand fest, dass ein Toter nicht wieder lebendig werden und auferstehen kann. Für ihn ist Jesus wirklich am Kreuz zu Tode gekommen und begraben worden - ein für allemal - unwiederbringlich! Und dann kann die Behauptung der Jünger, Jesus sei wieder auferstanden, nur eine Lüge sein. Noch dazu unterstellt Reimarius den Jüngern, sie hätten sozusagen aus niedrigen Beweggründen gelogen. Das würde zunächst einmal recht plausibel klingen, wäre da nicht ihre Behauptung, sie hätten Jesus drei Tage nach der Grablegung getroffen, mit ihm gesprochen, ja, zusammen mit ihm gegessen. Paulus behauptet gar (1 Kor 15,1 ff.), Jesus sei "am dritten Tag auferweckt worden, gemäß der Schrift, und erschien dem Kephas, dann den Zwölf. Danach erschien er mehr als fünfhundert Brüdern zugleich; die meisten von ihnen sind noch am Leben, einige sind entschlafen." Stimmt das? Sind diese Leute nach Jesu Grablegung diesem tatsächlich begegnet oder ist das eine Lüge? Nun, die Nagelprobe wurde gemacht: Jakobus, Jünger von Jesus, ließ sich für seine Überzeugung mit dem Schwert hinrichten, Jakobus, ein Bruder Jesu, ließ sich für seine Überzeugung steinigen. Für eine Lüge geht ein Mensch eigentlich nicht in den Tod. Das heißt, es spricht doch eher dafür, dass sich Jesus nach seiner Grablegung tatsächlich wieder mit seinem Anhang getroffen, mit diesem geredet und gegessen hat. Und das würde der Verschwörungstheorie von Reimarius widersprechen - bei allen sonst so zutreffenden Beobachtungen, die er gemacht hat. Dann bliebe aber nur, an ein Wunder zu glauben, an eine Auferweckung von den Toten durch Gott, denn wie sonst sollte man es sich erklären, dass er drei Tage nach seiner Grablegung wieder quietschlebendig herumgelaufen ist.
Nein, sagten da andere Aufklärer, Wunder gibt es nicht und so kann auch kein Toter von den Toten auferstehen. Dann aber musste man eine andere Erklärung finden dafür, dass Jesus nach seiner Grablegung wieder als Lebender unter den Lebenden aufgetaucht ist. Hier setzen nun die Verschwörungstheorien von Bahrdt und Venturini an. Dass Jesus bei der Kreuzesabnahme lediglich scheintot war, lässt sich zwar nicht völlig ausschließen, dass er dann aber nach drei Tagen Aufenthalt in der Grabkammer wieder zu Bewusstsein kommt, selbst den Rollstein beiseite schiebt und dann im Totenhemd - so, als wäre nichts gewesen - herumspaziert, ist schon sehr unwahrscheinlich. Darüber hinaus berichtet das älteste, das "Markus"-Evangelium, in der Grabkammer hätte auf der rechten Seite ein junger Mann gesessen, der mit einem weißen Gewand bekleidet war (Mk16,5), und natürlich ist es für einen Aufklärer, der nicht an Engel glaubt, ausgeschlossen anzunehmen, dass es sich bei diesem weiß gekleideten jungen Mann um einen Engel handelte. Wer also war der Typ? Überhaupt gibt es im "Markus"-Evangelium weitere Hinweise auf Leute im Hintergrund: Mk14,12 - 16 und Mk14,51/2. Der Verdacht keimt auf, bei dieser "Auferstehung" sei es irgendwie nicht so ganz mit rechten Dingen zugegangen. Die Jünger kann man als Drahtzieher faktisch ausschließen: Als sich Jesus durch seine provokanten Aktionen im Tempelbezirk in den Fokus der jüdischen Obrigkeit gespielt hatte, taucht Jesu Anhang eigentlich nicht mehr auf. Bis auf Petrus, der immerhin vor dem Prozesssaal auf den Ausgang des Prozesses wartete, scheinen sie sich alle ängstlich in ihre Jerusalemer Unterkunft verkrümelt zu haben, waren sie doch schon bei der Verhaftung Jesu im Garten Getsemane allesamt geflohen (Mk14,50). Und bei der Kreuzigung waren lediglich Frauen aus dem Gefolge Jesu so mutig und leisteten ihm unter dem Kreuz Gesellschaft. Welche Gruppe könnte dann aber überhaupt noch als Strippenzieher im Hintergrund infrage kommen? Bahrdt und Venturini tippten in Ermangelung von Alternativen auf die Essener, die durch Flavius Josephus recht bekannt waren. Sie könnten bei dieser "Auferstehung" im Hintergrund die Fäden gezogen haben - bloß: Was wäre bei dieser ganzen Inszenierung das Motiv gewesen? Und wie hätten sie es bewerkstelligt, dass Jesus zwar tot vom Kreuz abgenommen wurde, sich aber wenige Tage später als Lebender bei seinen Jüngern zurückgemeldet hat? Wie Bahrdt und Venturini diese Aufgabe bewältigt haben, war oben schon nachzulesen. Wie wahrscheinlich ist es jedoch, dass die Essener bei dieser ganzen Geschichte ihre Finger im Spiel hatten, tauchen sie doch in den Evangelien nur an einigen wenigen Stellen indirekt auf? Auch sind die Essener als Täter wenig wahrscheinlich, da sie für die bevorstehende vierzigjährige Endzeit bis zu Gottes Endgericht einen aktiven, für alle präsenten Messias erwarteten, der entschlossen und tatendurstig in den Ring gegen die Mächte der Finsternis stieg und dem Reich Gottes auf Erden machtvoll den Weg ebnete. Und das war Jesus nun gerade nicht: Kaum "auferstanden" verabschiedete er sich nach einigen Gesprächen mit seinen Jüngern ins ungewisse Irgendwo, um sich nicht als schon einmal Gekreuzigter von den Römern erwischen zu lassen. Er taucht ab, nein, besser: Er steigt auf in den Himmel und sitzt dort nun angeblich schon seit zweitausend Jahren auf seinem Hintern, den er inzwischen kaum noch spüren dürfte. Das war kein Messias nach dem Geschmack der Essener, sodass man diese als Täter für die Machenschaften im Hintergrund eigentlich ausschließen kann. Bloß: Wer blieb dann noch als Drahtzieher übrig? Eigentlich niemand mehr!?
Es war der Verfasser des "Markus"-Evangeliums, der durch eine "kleine" Mogelei gleich zu Beginn seines Evangeliums (Mk1,9) die tatsächlichen Drahtzieher im Hintergrund so sehr verdunkelte, dass es nahezu zweitausend Jahre brauchte, bis man den wirklichen Tätern auf die Spur kam. Dabei war die Lösung so einfach, dass man sich jetzt hinterher fragt, wieso man da nicht früher draufkam. Die Lösung: Jesus war Nazoräer, ein Ausdruck, der in den Schriften des Neuen Testaments mehrfach als Attribut für Jesus verwendet wird.3 "Markus" führt diesen Ausdruck (absichtlich) fälschlicherweise auf den kleinen galiläischen Ort Nazaret zurück, obwohl Jesus Kafarnaumer war, und "Matthäus" bekräftigt diese Mogelei auch noch (Mt2,23), obwohl er sehr wohl weiß, wer die Nazoräer waren. Warum diese Falschmünzerei dieser beiden? Was "Markus" und auch "Matthäus" vertuschen wollten, ist, dass Jesus ein Anhänger und Jünger von Johannes dem Täufer gewesen war und der Messias konnte nun einmal kein Schüler eines voraufgegangenen Propheten gewesen sein! Es fehlte in der Geschichte der Leben-Jesu-Forschung nicht an Versuchen, den Begriff Nazoräer auf seine Wurzeln hin zu untersuchen, denn die Ableitung von dem galiläischen Flecken Nazaret war so zwingend nicht, es gab auch Alternativen. Schon "Matthäus" (2,23) führt den Begriff auf die alttestamentlichen Propheten zurück: Vielleicht meint er, der Begriff sei von Jesaja 11,1 herzuleiten, wo von dem "Spross" (hebräisch "nezär") die Rede ist, der aus dem Baumstumpf Isai hervorwächst - d. h. nach dem Strafgericht über die Nachkommen von König David und seinem Volk wird aus derselben Familie (Isai ist Davids Vater) ein neuer König erwartet, der Gottes Willen erfüllt und dem Volk Rettung bringt.4
Selbst ein solch hochkarätiger Wissenschaftler wie Albert Schweitzer bringt den Begriff Nazoräer mit dem Begriff Nasiräer (von hebräisch nasir zur Wurzel 'aussondern', 'weihen', 'geloben', etwa mit "Asket" zu übersetzen) in Verbindung (s. dazu GdLJF, S. 470); ein Nasiräer ist im Judentum ein Mensch, der Gott gegenüber freiwillig einen besonderen Eid leistet5, und noch 1966 (dt. Übers. 1970) schließt sich der italienische Bibelwissenschaftler Marcello Craveri (1914 - 2002)6 dieser Sichtweise an: "Nach Ansicht verschiedener Gelehrter hat es Nazareth - oder besser Nazrat oder Nozeret - in biblischen Zeiten nie gegeben; das Wort 'Nazarener', das in den neutestamentlichen Schriften in Verbindung mit dem Namen Jesu verwendet wird, bezeichnet nach dieser Auffassung nicht seinen Heimatort, sondern muss von dem Aramäischen nasir abgeleitet werden, worunter damals Personen verstanden wurden, die ein ewiges oder auf eine begrenzte Zeit befristetes Gelübde der Enthaltsamkeit abgelegt hatten und während der ganzen Dauer dieses Gelübdes keinen Wein tranken und ihre Haupthaare ungeschoren trugen."7
Es ist das unschätzbare Verdienst des Orientalisten Hartmut Stegemann8, schließlich die zutreffende Herleitung des Begriffs Nazoräer geliefert zu haben: "Wegen dieser Bedeutsamkeit seiner Taufe [Gewähr der Sündenvergebung durch Gott im Endgericht] haben zeitgenössische Juden den Johannes und seine Anhänger etwas spöttisch 'die Bewahrer' [die dich davor bewahren, im Endgericht von Gott verworfen zu werden] genannt, aramäisch n a z r é n oder - mit Artikel - n a z r á j j a, in griechischer Wiedergabe n a z a r e n o í bzw. n a z o r a i o i. Zur besseren Unterscheidung von vielen Gleichnamigen wurde deshalb Jesus 'der Nazarener' [...] bzw. der 'Nazoräer' [...] genannt, was ursprünglich gar nicht seine Herkunft 'aus Nazaret' meinte [...], sondern seine Herkunft aus dem Täuferkreis oder seine Zugehörigkeit zu diesem."
Damit war klar: Jesus war dem Jüngerkreis um Johannes den Täufer zuzuordnen; Jesus hat sich also nicht nur von Johannes taufen lassen, sondern er hat diesem in Betanien, dem Wirkungsort von Johannes dem Täufer, zusammen mit anderen Jüngern assistierend zur Seite gestanden; es bestand somit ein Schüler-Meister-Verhältnis zwischen Jesus und Johannes.
Die Gruppe war nun gefunden, welche die "Auferstehung" Jesu bewerkstelligt haben konnte.
Nun galt es nur noch, die tatsächlichen Zusammenhänge und Hintergründe der damaligen Ereignisse um Kreuzigung, "Tod" und "Auferstehung" Jesu zu rekonstruieren. Dazu heißt es in meinem Aufsatz "Wes Brot ich ess…": "Heute wissen wir über Jesus wesentlich besser Bescheid als noch vor einigen Jahren, wir kennen essenzielle Fakten seiner Biografie, wir kennen seine 'neue Lehre', seine (jüdische) Religiosität, sein Weltbild, seinen geistigen Hintergrund, seine Mentalität, sodass sich das heutige (wissenschaftliche) Jesusbild zuverlässig in aller Kürze so zeichnen lässt: Jesus war Sohn einer gewissen Maria und hatte mehrere Brüder und Schwestern. Offenbar fehlte - zumindest zeitweilig - der Vater, sodass Maria das alleinige Familienoberhaupt bildete. Die Familie lebte in der Stadt Kafarnaum am See Genezareth in Galiläa in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts n. Chr. Jesus war fest in der jüdischen Glaubenswelt verwurzelt und gesetzestreu (befolgte also die Ge- und Verbote der Thora gewissenhaft). Er schloss sich der eschatologischen Strömung der damaligen Zeit an. Diese ging davon aus, dass das Ende der bisherigen Welt bevorstehe, und die Essener, eine jüdische Glaubensgemeinschaft, hatten aufgrund der Prophetentexte das Jahr 70 n. Chr. als Abschlusstermin von Gottes Endgericht errechnet. Davor läge noch eine chaotische, schreckliche vierzigjährige Endzeit, die dann folgerichtig im Jahr 30 oder 31 n. Chr. zu beginnen hatte. In dieser Endzeit würde ein Messias an der Seite Gottes die Mächte der Finsternis niederringen (Satan mit seinem Dämonenheer und dem Tod); nach dem Propheten Maleachi müsse jedoch vor dem Kommen dieses Messias' noch der Prophet Elia zurückkehren.
Als nun ein gewisser Johannes am Jordan beim Ort Betanien beginnt, alle Juden, die Besserung und einen thoragerechten Lebenswandel gelobten, im Jordan zu taufen, war für Jesus klar, dass Johannes der wiedergekehrte Elia sei und somit der Beginn des Reiches Gottes auf Erden unmittelbar bevorstehe - so, wie es dieser Johannes ja auch verkündete. Jesus brach aus Kafarnaum auf und zog zu Johannes an den Jordan, von dem er sich taufen ließ und dessen Jüngerkreis er sich anschloss. Da die Johannes-Gruppe von der Bevölkerung Nazoräer, 'die Bewahrer' (vor der ewigen Verdammnis in Gottes Endgericht), genannt wurde, nannte man Jesus 'den Nazoräer', was mit dem Ort Nazaret nichts zu tun hat, sondern seine Zugehörigkeit zum Johannes-Kreis meint. Nachdem Johannes/Elia von seinem Landesherrn Herodes Antipas in den Kerker geworfen worden war, folgerte Jesus, dass sich nun das angekündigte Kommen von Gottes Reich tatsächlich vollziehen müsse. Der verwaiste nazoräische Jüngerkreis wartete auf Gottes Erscheinen, aber Gott kam nicht. Jesus glaubte zu wissen, woran es liege: Bevor Gott käme, müsse noch gemäß dem Propheten (Deutero-) Jesaja ein ‚Gottesknecht' für die Sünden seines (jüdischen) Volkes Sühne leisten und sich dafür (in Jerusalem) kreuzigen lassen. Seine Mit-Nazoräer hielten dies für unzutreffend, Gott würde unmöglich ein solches Menschenopfer verlangen. Je eifriger seine nazoräischen Genossen ihrem Kampfgefährten Jesus diese Idee auszureden versuchten, desto sturer und fanatischer verrannte sich Jesus in diese Ansicht. Schließlich erklärt er, dass er dann eben selbst dieses Gottesknechtsopfer auf sich nehmen werde. (Insgeheim war er sich sicher, dass er, vermeintlich gemäß Jesaja, nach vollbrachter Kreuzigung von Gott vom Kreuz herab als Messias gekürt werden würde und an der Seite Gottes diesen vierzigjährigen Endkampf gegen die Mächte der Finsternis durchfechten werde.) Während Jesus trotzig nach Kafarnaum zurückkehrte, um unter seinen alten Freunden und Bekannten welche zu finden, die bereit waren, mit ihm das Werk des Johannes in modifizierter Form fortzuführen und zu Ende zu bringen (Verkündigung des Evangeliums), beschlossen einige seiner Mit-Nazoräer, ihren sturen Jesus möglichst nicht ins Verderben rennen zu lassen: Sie wollten ihn im Auge behalten und ihn - falls er seine Absicht in Jerusalem verwirklichen sollte - irgendwie retten.
Jesus gelang es, in seiner Heimatstadt Kafarnaum und ihrer Umgebung eine ganze Reihe von Leuten für seine Evangeliumsverkündigungstour zu gewinnen, wovon er wohl zwölf junge Männer zu seinem Jüngerkreis erklärte. Von seiner Absicht, sich am Ende in Jerusalem kreuzigen zu lassen, ließ er zu diesem Zeitpunkt noch nichts verlauten. Da Jesus fest daran glaubte, dass nach Johannes' Einkerkerung das Reich Gottes auf der Erde bereits angebrochen sei, war er auch davon überzeugt, dass der nun zwar noch unsichtbare, aber tatsächlich wieder bei seinem Volk anwesende Gott allen, die sich in unbedingtem Vertrauen auf Gottes unmittelbares Wirken mit Bitten an ihn wandten, diese Bitten auch erfüllen würde ('Alles kann, wer glaubt!').
Nachdem diese Jesustruppe ihre Verkündigungstour nach Jesu Dafürhalten abgeschlossen hatte, bereitete Jesus sie auf seine beabsichtigte Kreuzigung in Jerusalem vor. Begeistert war seine Schar davon nicht, und in Jerusalem, bei seiner Kreuzigung und in der unmittelbaren Zeit danach machte sich gerade sein männlicher Anhang in der Öffentlichkeit extrem rar.
In Jerusalem provozierte Jesus die jüdische Obrigkeit dermaßen, gab sie in aller Öffentlichkeit dem Spott der vielen Pessach-Pilger preis, dass diese gar nicht anders konnte, als ihn zu verhaften und ihm den Prozess zu machen - wollte sie ihr Gesicht nicht völlig verlieren. Aber genau das wollte Jesus ja erreichen. Nachdem der Prozessverlauf keine klaren Anklagepunkte für eine Verurteilung erbracht hatte, fragte der Hohepriester rundheraus: 'Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?' Und Jesus bejahte und bekräftigte es, womit das Gericht einen eindeutigen Schuldbeweis in den Händen hielt: Gotteslästerung. Pilatus segnete als zuständige Besatzungsmacht das Todesurteil ab und Jesus wurde - so, wie er das angestrebt hatte, - gekreuzigt. Aber wider Erwarten kam Gott nicht - trotz inständigen, gläubigen Bittens vonseiten Jesu; keiner löste seine Fesseln und bestimmte ihn zum Messias und Jesus beschwerte sich lautstark ob dieser Unzuverlässigkeit seines Gottes: 'Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?'
Währenddessen waren unsere nazoräischen 'Verschwörer', diese kleine Gruppe nazoräischer Freunde Jesu, die sein Leben retten wollten, nicht untätig geblieben. Eingedenk der römischen Gepflogenheit, bei einer Kreuzigung einen Schwamm bereitzustellen, mit dem man dem Gekreuzigten mittels eines Stocks Flüssigkeit zuführen konnte, hatte unsere kleine Verschwörertruppe einen Schwamm mit einem 'Schlaftrunk' präpariert, möglicherweise wie man ihn zur damaligen Zeit bei Bauchoperationen als Narkosemittel verabreichte.9 Nachdem sie Jesus auf diese Weise ins Traumland geschickt hatten, erwirkte der Jesus-Anhänger Josef von Arimathäa, 'ein vornehmer Ratsherr', von Pilatus die rasche Freigabe der 'Leiche' zur Beerdigung (das Pessachfest stand unmittelbar bevor!) und 'in der Grabkammer konnten nun die Nazoräer - völlig ungestört - Jesus wieder wecken'10.
Vermutlich sah Jesus seine wunderbare 'Auferstehung' als das Werk Gottes, seine nazoräischen Retter als Gottes Werkzeuge; es war zwar nicht so abgelaufen, wie er sich das gedacht hatte, aber wenn Gott ihn jetzt so auf diese Weise errettet hatte, dann musste er, Jesus, doch eine Rolle in Gottes Plan spielen - und so konnte Jesus ganz in seiner eschatologischen Gedankenwelt verbleiben. Seine Retter veränderten, bevor sie den Gekreuzigten wieder in die Welt entließen, sein Aussehen (er wurde zunächst nicht von Bekannten erkannt), damit er nicht gleich von der nächstbesten römischen Patrouille als 'Kreuzesflüchtling' gestellt wurde und erneut am Kreuz landete - dann aber wohl endgültig. Es kam nun noch zu einem, vielleicht auch zu mehreren Treffen mit seinem Jüngerkreis und die Jünger, die von der Rettungsaktion der alten nazoräischen Freunde Jesu keine Ahnung hatten, kamen zu der Überzeugung, Jesus sei von den Toten auferstanden. Schließlich war es für den gekreuzigten 'Verbrecher' Jesus an der Zeit, endgültig von seinen Jüngern Abschied zu nehmen und unterzutauchen, denn die römische Besatzungsmacht hatte in dieser Beziehung wenig Humor.
Sicherlich wird Jesus beim Abschied von seinen Jüngern diese noch darin bestärkt haben, auszuharren, bis er bald, sehr bald 'mit den Wolken des Himmels' als Messias an der Seite Gottes wiederkehren und die Zeit des Endkampfes eröffnen werde. Die Legende wird später aus diesem Abschied Jesu von seinem Anhang die Himmelfahrt machen. Wo sich Jesus verborgen hielt, wie lange er dort ausharrte, ob er - nachdem Gott weiter auf sich warten ließ - seinen Aufenthaltsort gewechselt hat, ob er an seiner ursprünglichen Überzeugung irregeworden ist - wir wissen es nicht und werden es wohl auch nie erfahren. Tatsache ist, dass er bis heute nicht wieder aufgetaucht ist. Zurück blieben seine Jünger, überzeugt, ihr Messias Jesus sei nach drei Tagen von den Toten auferstanden. Davon waren sie - wie wir gesehen haben, aus guten Gründen - felsenfest überzeugt, hatten sie ihn doch gesehen, mit ihm gesprochen und sich von ihm verabschiedet und für ihre Überzeugung ließen sie sich auch - wenn es hart auf hart kam - von der jüdischen Obrigkeit steinigen.
Nachdem seine Jünger zunächst im Gebet passiv darauf gewartet hatten, dass Jesus 'mit den Wolken des Himmels zur Rechten der Macht' wiederkehren werde und die vierzigjährige Endzeit beginnen würde, kamen sie, als diese Wiederkehr Jesu ausblieb, zur Überzeugung, ihr Messias Jesus erwarte vor seiner Wiederkehr, dass sie der jüdischen Mitwelt Jesus als den ersehnten Messias verkündeten und die Juden zum Glauben an den Messias Jesus brachten (Paulus weitet dies dann auch auf die 'Heiden' aus). Da es aber lächerlich gewesen wäre, den Juden den Beginn der messianischen Endzeit zu verkünden, ohne diesen Messias vorweisen zu können, vertraten sie die Ansicht, Jesus halte sich vorläufig noch im Himmel bei seinem 'Vater' auf (wozu er natürlich irgendwann vorher in den Himmel aufgefahren sein musste) und warte nur noch darauf, dass die Juden an ihn als Messias glaubten; dann werde er ganz gewiss ohne Verzug 'mit den Wolken des Himmels zur Rechten der Macht' wiederkehren.
Diese Vorstellung näherte sich damit so sehr der himmlischen Gestalt des göttlichen 'Menschensohns' des Henochbuches an, dass es zu einer Identifikation Jesu mit dem göttlichen Heiland und Erlöser aus dem Henochbuch kam und somit aus dem Kafarnaumer Bauhandwerker Jesus der göttliche ‚Menschensohn' des Henochbuches wurde. Da das Henochbuch den Ausgangspunkt einer Glaubensrichtung bildete, die später mit dem Begriff 'Gnosis' (Erkenntnis) bezeichnet wurde, wird auf diese Weise Jesus zur Galionsfigur einer neuen, einer gnostischen Religion, in der er als göttlicher Gottessohn von seinem Gottvater auf die Erde gesandt wird, um den von Anbeginn der Welt Auserwählten ihre Auserwählung bewusst zu machen und ihnen den (Rück-) Weg in den Himmel zu Gott zu weisen (siehe das 'Johannes'-Evangelium)."11
Es war also weder eine Verschwörung der Jünger Jesu noch der Essener, sondern der gelungene Versuch von einigen wenigen nazoräischen Freunden, ihrem Genossen Jesus, der sich unbelehrbar in eine fixe Idee verrannt hatte, das Leben zu retten - nicht mehr und nicht weniger.
Anmerkungen
1Schweitzer, Albert: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung. Tübingen: Mohr (Paul Siebeck), 1906/1984 (zit. als GdLJF)
2Ebenda, S. 80 - 84
3Stellen im NT, wo Jesus Nazoräer bzw. Nazarener genannt wird:
Mk14,67 Sie sah, wie Petrus sich wärmte, blickte ihn an und sagte: Auch du warst bei dem Nazarener (= dem Nazoräer), bei Jesus.
Mt2,23 und ließ sich in einer Stadt namens Nazaret nieder. Denn es sollte sich erfüllen, was durch die Propheten gesagt worden ist: Er wird Nazoräer genannt werden.
Mt26,71 Und als er zum Tor hinausgehen wollte, sah ihn eine andere Magd und sagte zu denen, die dort standen: Der war mit Jesus dem Nazoräer zusammen.
Joh18,5 u. 7 Wen sucht ihr? 5 Sie antworteten ihm: Jesus den Nazoräer. Er sagte zu ihnen: Ich bin es. Auch Judas, der ihn auslieferte, stand bei ihnen. 6 Als er zu ihnen sagte: Ich bin es!, wichen sie zurück und stürzten zu Boden. 7 Er fragte sie noch einmal: Wen sucht ihr? Sie sagten: Jesus den Nazoräer.
Apg2,22 Israeliten, hört diese Worte: Jesus, den Nazoräer, einen Mann, den Gott vor euch beglaubigt hat durch Machttaten, Wunder und Zeichen, die er durch ihn in eurer Mitte getan hat, wie ihr selbst wisst
Apg6,14 Wir haben ihn nämlich sagen hören: Dieser Jesus, der Nazoräer, wird diesen Ort zerstören und die Bräuche ändern, die uns Mose überliefert hat.
Apg22,8 Ich antwortete: Wer bist du, Herr? Er sagte zu mir: Ich bin Jesus, der Nazoräer, den du verfolgst.
4Die Einheitsübersetzung von 1980 verweist an dieser Stelle auf das alttestamentliche Buch Richter (Ri13,5.7 G). Diese Stelle kann aber der Verfasser des "Matthäus"-Evangeliums auf keinen Fall gemeint haben, denn dort wird der Begriff "Nasiräer" verwendet (Ri13,5 und 13,7). Bei Henri Daniel-Rops (s. Anm. 8, S. 381) heißt es zu dem Begriff "Nasiräer": "Im vierten Buch Moses steht geschrieben, was Männer und Frauen, die 'ein besonderes Gelübde ablegten, die sich dem Ewigen weihten', tun und lassen sollten. [...] man nannte sie Nasiräer; die hebräische Wurzel bedeutet sich aussondern und sich weihen. Das Nasiräat war sehr alt in Israel, schon der Prophet Amos spricht davon, und zur Zeit Jesu kannte man es bestimmt, denn im Tempel war ein kleiner Eckhof in dem großen Vorhof den Nasiräern vorbehalten. [...] Sie mussten ein dreifaches Gelübde ablegen: sich des Weins und berauschender Getränke zu enthalten, [...] nicht 'mit dem Schermesser über den Kopf fahren', das heißt, sie mussten sich das Haar wachsen lassen, [...] schließlich durften sie sich keinem Leichnam nähern [...]."
Bei Richter 13,1 - 25 geht es nicht um den Messias, geschweige denn um einen Bezug auf einen Ort namens Nazaret, sondern um die Geburt von Simson (Ri13,2 - 5): "Damals lebte in Zora ein Mann namens Manoach aus der Sippe der Daniter; seine Frau war unfruchtbar und hatte keine Kinder. Der Engel des Herrn erschien der Frau und sagte zu ihr: [...] Denn siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären. Es darf kein Schermesser an seine Haare kommen; denn der Knabe wird von Geburt an ein Gott geweihter Nasiräer sein." In Ri13,24 heißt es schließlich: "Die Frau gebar einen Sohn und nannte ihn Simson".
5S. https://de.wikipedia.org/wiki/Nasir%C3%A4er#:~:text=Ein%20Nasir%C3% A4er%20(von%20hebr%C3%A4isch%20%D7%A0%D6%B8%D7%96%D6%B4%D7%99% D7%A8,das%20Nasir%C3%A4at%20wahrscheinlich%20auf%20Dauer.
6Craveri, Marcello: Das Leben des Jesus von Nazareth. Stuttgart: Klett, 1970, S. 13
7Tatsächlich finden wir in den Evangelien des Neuen Testaments keinerlei Hinweise darauf, dass Jesus Nasiräer gewesen sei - ganz im Gegenteil: Nicht nur, dass er und seine Jünger die Fastenzeit ignorieren (Mk2,18/9), Jesus erscheint sogar eher als einer, der den Gaumenfreuden nicht abgeneigt war. So nimmt er offenbar ganz selbstverständlich am Gastmahl bei anderen Leuten teil (Mk2,15/6) und auch bei sich zu Hause wird ganz normal gegessen (Mk3,20; Mk6,31). Die Sederfeier zelebriert er mit seinen Jüngern völlig konventionell und dort erfährt der Leser auch, dass Jesus sehr wohl Wein trinkt (Mk14,17 - 25): "Als es Abend wurde, kam Jesus mit den Zwölf. 18 Während sie nun zu Tisch waren und aßen, sagte Jesus [...] 25 [...] Ich werde nicht mehr von der Frucht des Weinstocks trinken bis zu dem Tag, an dem ich von Neuem davon trinke im Reich Gottes."
Matthäus berichtet, dass Jesus bei den Leuten gar als "Fresser und Säufer" (Mt11,19) galt. D. h. Jesus war eher das Gegenteil eines Nasiräers.
8Stegemann, Hartmut: Die Essener, Qumran, Johannes der Täufer und Jesus. Freiburg, Basel, Wien: Herder Verlag, 1993, S. 303/4
9S. Daniel-Rops, Henri: Die Umwelt Jesu. Der Alltag in Palästina vor 2000 Jahren. München: dtv, 1980, S. 317
10Martin, Wolfgang: Was Sie schon immer über Jesus wissen wollten. 2. Aufl. Berlin: Selbstverlag, 2018, S. 61/2
11Aus dem Aufsatz "Wes Brot ich ess..." in dem Band "Wolfgang Martin, Aufsätze". Berlin: Selbstverlag, 20232, S. 47 - 49
© Wolfgang Martin
Impressum: Wolfgang Martin, Am Gemeindepark 26, 12249 Berlin
zurück |