Leseproben:
Aus: Anmerkungen zum "Lukas"-Evangelium
[...] Eine weitere Stelle, wo "Lukas" Texte von "Markus" und "Matthäus" sinnentstellend verwendet, ist der Vorwurf einiger Leute,
Jesus würde mithilfe Beelzebuls Dämonen austreiben (Lk11,15). Jesus argumentiert bei "Markus" und "Matthäus" gegen diesen Vorwurf
und schließt seine logische Schlussfolgerung mit dem Hinweis (Mk3,28/9): "Amen, das sage ich euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden
den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine
Vergebung [...]." - Was ist damit gemeint? Jesus treibt Dämonen mithilfe des Heiligen Geistes (Gottes) aus; wer nun unterstellt, es sei
Satan (Beelzebul, der Teufel), mit dessen Hilfe Jesus Dämonen austreibe, der beleidigt damit den wahren Verursacher dieser Austreibungen,
nämlich den Heiligen Geist (Gottes). Und das - sagt Jesus - sei eine Beleidigung Gottes, und die werde niemals verziehen.
"Lukas" lässt diesen Hinweis Jesu bezüglich der Lästerung des Heiligen Geistes an dieser Stelle (wo er bei "Markus" eigentlich hingehört)
weg (Lk11,23 f.) und fügt ihn in einen Text ein, den er ohnehin aus verschiedenen Schnipseln zusammengesetzt hat (Lk12,4 - 12: Mt10,28 - 33;
Vers 10: Mt12,32; Mk3,29; Vers 11: Mt10,19; Mk13,11). Dort kann man ihn einschieben, er schadet nicht, aber seinen logischen Zusammenhang
hat er nur im Kontext der Version des "Markus".
Manchmal wirken die neuen Text-Kreationen von "Lukas" ungewollt komisch: Bei Lk5,33 - 39 fragen die Jünger des Johannes (also Nazoräer,
den Nazoräer) Jesus, warum seine Jünger nicht die Fastengepflogenheiten eines gewissenhaften Juden beachten und nicht fasten, worauf Jesus
unter anderem antwortet, solange der Bräutigam (Gott mit seinem wieder angebrochenen Reich auf Erden) bei den Hochzeitsgästen (den Juden)
weilt, hätten die ja wohl keine Ursache zu fasten, ganz im Gegenteil. Dies wird unter anderem mit einem Gleichnis illustriert: Man fülle
keinen neuen Wein (das wieder angebrochene Reich Gottes) in alte Schläuche (die überkommenen Fastenregeln aus der Zeit davor). Und
"Lukas" - offenbar ein Gourmet - schließt mit dem Satz (Lk5,39): "Und niemand, der alten Wein getrunken hat, will neuen; denn er sagt:
Der alte Wein ist besser." - Dieser Satz passt zur Frage, warum die Jünger Jesu nicht fasten, wie die Faust aufs Auge. [...]
Aus: Anmerkungen zum "Johannes"-Evangelium
[...] Das Evangelium des "Johannes" gilt als das judenfeindlichste
aller kanonischen Evangelien und es rangiert in dieser Hinsicht noch vor dem Evangelium des "Matthäus". Woher rührt die Judenfeindschaft
dieser beiden Evangelisten?
"Matthäus" ist Jude, er fühlt als Jude und er denkt als Jude. Für ihn gibt es an der unbedingten Verbindlichkeit des mosaischen Gesetzes
und an den jüdischen Sitten und Gebräuchen, wie z. B. an der Beschneidung, nichts zu rütteln. Aber - er ist der festen Überzeugung, dass
dieser Jesus, der sich 30 n. Chr. kreuzigen ließ, der von vielen Juden lang ersehnte Messias war und ist, und er glaubt, dass dieser dann
"auf den Wolken des Himmels" an der Seite Jahwes kommen und den Jüngsten Tag eröffnen würde, wenn alle Juden missioniert wurden und
möglichst viele Juden diesen Jesus als Messias ansähen und Mitglied einer christlichen Gemeinde geworden seien. Aber - die Missionierung
der Juden durch die Frühchristen kam nur schleppend voran und manchmal hätte der christliche Apologet "Matthäus" verzweifeln können an der
Sturheit und Halsstarrigkeit, mit der die meisten Juden nicht an die Messianität dieses Jesus glaubten und den christlichen
Missionierungsversuchen die kalte Schulter zeigten. Und es sind insbesondere die Pharisäer und Schriftgelehrten, die gegen die christliche
Missionierung arbeiten und den Frühchristen die meisten Schwierigkeiten bereiten. Deswegen die häufigen Ausfälle gegen die Pharisäer und
Schriftgelehrten und ihre Verunglimpfung durch "Matthäus" in seinem Evangelium, deswegen seine gehässigen Verleumdungen und üblen Nachreden
gegen die Juden. Seine Missionierungsschlacht führt er vehement, verbissen, ja, mitunter auch schon verbittert, aber - er bleibt am Ball.
Anders "Johannes": Er ist kein Jude, was nicht heißt, dass er sich nicht ausgezeichnet in der jüdischen Religion, ihren Schriften und den
jüdischen Sitten und Gebräuchen auskennt, aber - er ist kein Jude. Er ist Christ, paulinisch-gnostischer Heidenchrist, und während "Matthäus"
noch in der jüdischen Geisteswelt verbleibt und sich nach wie vor dem Judentum, seinem Volk verpflichtet fühlt, verlangt der Heidenchrist
"Johannes" von "den Juden" nichts weniger, als dass sie ihrer Religion abschwören und eine neue Religion annehmen (wir werden das weiter
unten noch sehen). Und damit hat er, haben die paulinischen Christen in ganz eklatanter Weise eine rote Linie überschritten, ab der für
einen gläubigen Juden jeder Spaß aufhört. Nicht nur das mosaische Gesetz habe seine Gültigkeit verloren, auch jüdische Riten, Sitten und
Gebräuche, wie beispielsweise die Beschneidung, seien obsolet. Und so wird die Missionierung der Juden durch die paulinischen Heidenchristen
zu einem lebensgefährlichen Abenteuer, das nicht selten mit dem Verlust des Lebens bezahlt wird. Allein achtmal soll es im
"Johannes"-Evangelium den paulinischen Missionaren an den Kragen gehen, wollen die Juden sie töten oder steinigen - natürlich in Gestalt
des "johanneischen" Kunstjesus (5,17/8; 7,1; 7,19; 7,25; 8,37; 8,59; 10,31; 11,53) - fünfmal ist von Festnahmen die Rede
(7,30; 7,32; 7,44; 10,39; 11,57). In den Augen "der Juden" sind es insbesondere drei Vergehen, die die Heidenmissionare in Lebensgefahr
bringen: Bei Verstößen gegen das Sabbat-Gebot (z. B. 9,16), wenn die Verbindlichkeit des mosaischen Gesetzes infrage gestellt wird
(z. B. durch die Bedeutung der paulinisch-christlichen Taufe (4,1 - 3)) und - vor allem - wenn der Monotheismus einem Polytheismus
weichen soll ("Gotteslästerung", z. B. 8,13 - 19; 10,30). [...]
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