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Wer Bücher schreibt und die Unverschämtheit besitzt, diese auch noch selbst zu verlegen, muss damit rechnen, dass er hinfort von Verlagen geächtet, von Professoren, Kritikern, Sendeanstalten, Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen usw. geschnitten und nicht beachtet wird. Er ist nicht existent, sein Buch ist nicht existent, und was nicht existiert, kann man getrost unbeachtet lassen. Diskriminierung? Ach, i wo, ist doch selbst schuld! Warum macht er auch so was, anstatt sein Buch von einem Verlag herausgeben zu lassen?!
Warum bestehen solche Ressentiments gegenüber Selbstverlegern?
- Selbstverleger beherrschen die deutsche Rechtschreibung, Zeichensetzung und Grammatik nicht und das Buch ist voller Tippfehler. Deshalb kann ihr Buch nur minderwertig sein.
- Die Bücher von Selbstverlegern sind chaotisch, unstrukturiert, unlogisch aufgebaut und haben Mängel in der Zuordnung der Inhaltsangabe zu den entsprechenden Kapiteln.
- Die Bücher genügen nicht den wissenschaftlichen Standards: Es werden unbewiesene Behauptungen aufgestellt, es wird unkorrekt zitiert, grundlegende Fachliteratur wird nur ungenügend beachtet, man kann sich auf die Ergebnisse der Bücher von Selbstverlegern nicht verlassen.
- Selbstverleger wollen doch nur an ihren Büchern den Maximalprofit verdienen.
- Die Bücher von Selbstverlegern sind handwerklich schlecht gemacht.
Sicherlich gibt es Leute, die diese Negativliste fortsetzen können. - Tatsächlich: selbstverlegte Bücher können all diese Mängel haben - aber ist davon auszugehen, dass deshalb alle selbstverlegten Bücher solche Mängel haben? Rechtfertigt das, alle Selbstverleger von vornherein unter Generalverdacht zu stellen?
Dabei kann es durchaus viele gute Gründe geben, Texte selbst zu verlegen: Bekannte Verlage ertrinken meist in der Flut der angebotenen Texte, sodass unbekannte Autoren noch nicht einmal sicher sein können, dass ihr digitales Manuskript überhaupt von einem Lektor näher in Augenschein genommen wird. Auf eine Verlagsrückmeldung kann man in der Regel bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag warten. Selbst eine Joanne K. Rowling bzw. ihr Literaturagent mussten monatelang bei Verlagen Klinken putzen, bevor sich auch nur ein Verlag für den ersten Harry-Potter-Band interessierte. Bei Sachbüchern kann es das Thema sein, das keinen Verlag interessiert - aus verschiedenen Gründen: weil der Verlag vermutet, dass sich zu wenig Leser für dieses Thema interessieren; weil das Thema dem Verlag politisch oder gesellschaftlich oder religiös zu brisant ist und er befürchtet, dass er es sich, wenn er das Buch herausbringt, bei wichtigen Leser- bzw. Kundenkreisen verscherzt.
Ganz generell sieben Verlage von den angebotenen Texten jene aus, die voraussichtlich keinen Profit versprechen oder die ihrer Meinung nach nicht ihrem Profil oder der politischen oder sozialen oder religiösen "correctness" entsprechen. Unbekannte Sachbuch-Autoren, die keinen Professoren- oder Doktortitel haben und noch dazu Texte zu heiklen Themen anbieten, fallen eigentlich von vornherein bei den Verlagen unter den Tisch.
Will also ein unbekannter Autor sein Buch publizieren, bleibt ihm in der Regel nur die Veröffentlichung im Selbstverlag. Damit ist nicht gesagt, dass das Buch schlecht sein muss; ich habe schon Bücher von Selbstverlegern gesehen, die keinen Vergleich mit den Editionen von Verlagen scheuen brauchten, und ich habe schon Bücher von - zum Teil renommierten - Verlagen gesehen, bei denen nahezu jedes fünfte Wort falsch geschrieben war oder die für die Buchherstellung den falschen Leim für die Bindung verwendet haben (ich denke da besonders an eine Brecht-Gesamtausgabe eines Taschenbuchverlags) und die trotz dieser krassen Mängel ihr Buch zum vollen Preis angeboten haben.
Obwohl das Selbstverlegertum in den letzten Jahren kontinuierlich zugenommen hat und Selbstverleger*innen inzwischen ihren festen Platz auf der Frankfurter oder Leipziger Buchmesse haben, hält sich bei Verlagen, Rezensenten, Kritikern, Fachleuten usw. deren Negativ-Image hartnäckig; man will nicht zur Kenntnis nehmen, dass Selbstverleger heute ein selbstverständlicher Teil des Buchmarktes sind.
Dieser Dünkel, diese Voreingenommenheit, diese Arroganz und Häme der kulturellen Nomenklatura gegenüber selbstverlegten Veröffentlichungen hat aber auch noch einen sehr ernsten Aspekt, der das demokratische Selbstverständnis unserer Gesellschaft in einem wesentlichen Punkt betrifft: Dem Recht auf freie Meinungsäußerung:
"(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt." (Artikel 5, Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland)
"Aber ich bitte Sie: Wo sind denn Selbstverleger in ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung beeinträchtigt? Sie können doch schreiben, was sie wollen, wer hindert sie daran? - Das ist richtig, aber zu dem Recht auf freie Meinungsäußerung gehört unabdingbar auch, dass die Angesprochenen das Geschriebene zur Kenntnis nehmen können, dass man sich die Argumente durchlesen und in einen fairen geistigen Austausch untereinander treten kann.
Wer sich weigert, das Schrifttum eines Selbstverlegers auch nur zur Kenntnis zu nehmen, geschweige denn es zu lesen - nur deshalb, weil es von einem Selbstverleger stammt, der diskriminiert. Der ist nicht besser als einer, der alle Asylanten als Schmarotzer unseres Sozialstaates betrachtet und für deren Abschiebung plädiert. Im etablierten kulturellen Betrieb unserer Gesellschaft ist dieser diskriminierende Dünkel weit verbreitet. Selbst Redakteure der Wikipedia-Enzyklopädie diskriminieren Selbstverleger, wenn sie deren Diskussionsbeiträge überheblich als "irrelevant" abtun aus dem einzigen Grund, weil diese Selbstverleger sind ("Selbstverlag ist hier leider unerwünscht. Daher bitte nicht einfügen."(09:39, 12. Apr. 2017)).
Noch gefährlicher für unser demokratisches Gemeinwesen ist, wenn Sachtexte von Selbstverlegern deswegen ignoriert werden, weil einem inhaltliche Positionen nicht passen. Das wird natürlich nicht offen gesagt, man möchte am Ende ja nicht als Zensor dastehen; es funktioniert einfach so, dass man mit keinem Wort auf unliebsame, unerwünschte Argumentationen des Selbstverlegers eingeht, sondern formale Gründe vorschiebt, weshalb man seinen Text ablehnt ("Leider entspricht Ihr Aufsatz nach Fragestellung und Stil nicht dem Profil unserer Zeitschrift." "Leider müssen wir Ihnen nach Durchsicht mitteilen, dass es auf Grund seiner Kürze und engen inhaltlichen Fokussierung für unsere Zeitschrift nicht geeignet ist." "Ihr angebotener Text passt nicht in das Konzept unserer Zeitschrift." "Aufgrund der Thematik und Beschaffenheit können wir diesen [Artikel] nicht zur Veröffentlichung annehmen.").
Verlage übernehmen heute faktisch die Zensur, die es nach Artikel 5 unseres Grundgesetzes gar nicht geben darf. Wer nicht durch das Tor eines "renommierten" Verlags gekommen ist, ist suspekt: Es muss ja Gründe gehabt haben, warum kein Verlag den Selbstverleger genommen hat, also muss an seiner Selbstveröffentlichung irgendetwas faul sein, also Finger weg von so einem Selbstverleger. Wer von einem "renommierten" Verlag herausgebracht wird, der ist erfolgreich durch die Zensur gekommen, ein Lektor hat im Zweifelfall alles herausgesiebt und "korrigiert", was nicht der "correctness" entsprochen hat, das Buch ist jetzt clean, hat den Unbedenklichkeitsstempel und ist zur offiziellen Kenntnisnahme freigegeben. Selbst kleine Verlage sind dem offiziellen Kulturbetrieb suspekt; einen Verlag aufmachen kann ja jeder, also kann man sich bei so einem Kleinverlag nicht darauf verlassen, dass dort die Zensur zuverlässig funktioniert hat, also auch Hände weg von Autoren, die von Kleinverlagen verlegt wurden. Dabei behalten sich die Kulturkoryphäen noch vor, selbst definieren zu können, welcher Verlag ein "renommierter" Verlag ist und welcher nicht. Und so hat zwar jede und jeder in unserer Republik das Recht, seine Meinung frei zu äußern, aber was davon zu potenziellen Lesern gelangt, bestimmen andere.
So leisten Leute, die um kleine Verlage und Selbstverleger*innen einen arroganten Bogen machen, einer bedenklichen Erosion unseres Grundrechts auf freie Meinungsäußerung Vorschub, Leute, die sich sonst nach außen oft als entschiedene Kämpfer für den Erhalt unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung gerieren.
© by Wolfgang Martin
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