Leseproben:
Aus: "Think positive!"
Der Junggeselle Dr. Brösel war im Lektorat eines nicht unbedeutenden Verlags beschäftigt - ja, "beschäftigt", denn er fühlte sich völlig
unterbewertet und sein Chef, der Verleger Heintzen, kein Doktor, ja noch nicht einmal Akademiker (weiß der Teufel, wie er in die heiligen
Gefilde des Buches gestolpert war), legte es offensichtlich darauf an, ihn zu demütigen, ihn daran zu hindern, den einzig ihm gebührenden,
seinen unbestreitbaren Fähigkeiten wie auch seiner Akademikerlaufbahn gemäßen Posten des Cheflektors einzunehmen. Jetzt saß dort eine Niete,
eine Null, ein Speichellecker und Schönredner (wie sonst hätte er diese Stelle erhalten?!).
Aber nun hatte Dr. Brösel Urlaub und es bereitete ihm eine geradezu diabolische Freude, gerade den Kleidervorschriften und der "Hof"-Etikette
von Heintzen zuwiderzuhandeln; wenigstens jetzt, wenigstens hier konnte er es ihm einmal geben (wann sonst?).
Nach einer Woche ausgiebigen Wanderns hatte Dr. Brösel eine erstaunliche Metamorphose durchgemacht: Aus einem korrekt gekleideten, stets
gepflegten Untertan Heintzens war ein leicht schmuddeliger Gammelurlauber geworden: Er trug eine schon etwas verwaschene Edel-Jeans
(immerhin ursprünglich ein Markenartikel), an welcher, wenn man genau hinsah, in Kniehöhe, wenige Millimeter von der Innennaht entfernt,
eine gestopfte Stelle zu erkennen war (hier war er auf der Jagd nach einer besonders schönen Panorama-Aufnahme an einem Stacheldraht
hängen geblieben); dazu hatte er nicht bemerkt, dass er seinen Gürtel nicht durch die rechte vordere Schlaufe geführt hatte, wodurch dort
für alle Welt sichtbar das Hemd zwischen dem Gürtel und dem Hosenbund hervorblitzte. Auch ein - wenn auch kleinerer - Fleck vom letzten
Abendessen, der auf der linken Bauchhälfte prangte, war ihm entgangen. Im Übrigen hatte er sich schon zwei Tage lang nicht mehr rasiert,
und da es ein heißer Tag war, bewirkte sein anhaltendes Schwitzen einen charakteristischen, inzwischen auch in seiner Umgebung wahrnehmbaren
Geruch, der gemeinhin mit ungewaschenen Mitmenschen in Verbindung gebracht wird. Doch - was kümmerte es ihn: Er hatte Urlaub, hier kannte
ihn niemand und Heintzen wähnte er weit weg.
Wie er nun so durch die Gassen der süddeutschen Stadt F. schlenderte und die wundervolle, fast südländische Atmosphäre genoss, traf es ihn
plötzlich wie ein Blitz aus heiterem Himmel: Nur noch etwa zehn Meter von ihm entfernt stand Heintzen mit Frau und Tochter vor den Auslagen
eines Buchladens, und wenn er seine Richtung beibehielt, musste er ihnen (in diesem Zustand!) unweigerlich in die Arme laufen. Keine Sekunde
zögernd machte Dr. Brösel eine abrupte Kehrtwende, um dieses für ihn äußerst peinliche Zusammentreffen erst gar nicht stattfinden zu lassen.
Dabei hatte er jedoch nicht bedacht, dass die meisten Gassen von kleinen Rinnsalen durchflossen wurden (ein besonders gelungener Einfall
der rührigen Stadtverwaltung) und in eine solche Rinne trat er bei seiner raschen Wendung, verstauchte sich den Knöchel, verlor das
Gleichgewicht und stürzte mit beiden Händen Halt suchend in einen Berg tiefroter, herrlich reifer Kirschen, die eine dralle Marktfrau
just an dieser Stelle zum Verkauf feilbot [...]
Aus: Bethlehem ist überall
[...] Der Riegel, der von einem alten, verrosteten Schloss gesichert wurde,
war abgerissen und hing nur noch an einer Schraube. Sie traten über den Balken des großen Scheunentores in das Innere der Scheune. Links
war lediglich leerer Raum, rechts hinten erfasste der Lichtkegel ehemalige Schweinekoben und vorn rechts duckte sich ein niedriges,
lehmverputztes Gelass, aus dem erneut ein Stöhnen zu vernehmen war.
Achim leuchtete in die Türöffnung des Gelasses, bemerkte aber außer einigen Gerätschaften nichts Außergewöhnliches. Er trat ein.
Links ging es in einen weiteren Raum, der jedoch von einer roh gezimmerten Brettertür verschlossen war. Vorsichtig drückte er dagegen
und schob sie auf.
Der Raum wurde schwach von einer Stalllaterne erhellt, die an einem Haken an der Decke hing und vor sich hin blakte. An der hinteren
Wand kauerte eine junge und, wie er fand, sehr hübsche Frau auf dem Boden und starrte ihn mit angstvoll geweiteten Augen an. Zwischen
ihr und ihm, fast unter der Lampe, stand ein junger, unrasierter, kräftiger Mann mit einem Holzscheit in seiner rechten Hand und blickte
ihn finster entschlossen an. Als ehemaliger Bewohner des Grenzgebiets erfasste Achim die Situation sofort: Es mussten illegale Einwanderer
sein, die sich hier vorübergehend vor dem Bundesgrenzschutz versteckten. Letzte Gewissheit darüber, warum sich das Paar hier versteckte,
erhielt er, als sich die Frau krümmte und erneut wimmerte: Eine Geburt stand bevor. Er spürte Simones Atem im Nacken.
"Hallo!", sagte Achim und streckte dem finster blickenden jungen Mann die Hand entgegen. "Ich bin Arzt." - Keine Reaktion. Achim probierte
es erneut: "Ich Doktor", sagte er langsam und deutete dabei auf sich. Bei dem Wort "Doktor" huschte ein ungläubiges Staunen über das Gesicht
des Mannes, ohne dass sich dieser von der Stelle rührte. [...]
Aus: Lastours
[...] Die Hauptmacht des Unwetters war indessen gebrochen. Nach und nach
hatte sich das Gewitter gemildert, der Sturm war nur mehr ein mäßiger Wind, die Blitze leuchteten schwächer und der Donner rollte matter,
bis er ganz erstarb. Der Gewitterschauer war in einen Landregen übergegangen und bald war das Blitzen lediglich ein fernes Wetterleuchten.
Die Dunkelheit war einer zwielichtigen Dämmerung gewichen.
Plötzlich und übergangslos fing der Kurier wieder an zu wühlen und schnell steigerte sich sein Graben zur Raserei. Jedoch - es half nichts:
Am Ende konnte er gerade zwei Finger unter den Portalbogen schieben. Erschöpft, durchnässt und frierend zog er sich in den letzten trockenen
Winkel zurück, setzte sich dort auf den Boden und starrte in dumpfer Verzweiflung vor sich hin. Es währte nicht lange und ein barmherziger
Schlaf ließ ihn für einige Zeit die Hoffnungslosigkeit seiner Lage vergessen.
Als er erwachte, war es finstere Nacht. Der Regen rauschte immer noch gleichmäßig vom Himmel. Er hatte geträumt, jemand hätte seinen Namen
gerufen. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken und erzeugte eine Gänsehaut, die Haare stellten sich zu Berge: Da war es wieder, jemand
rief seinen Namen; es kam - wie aus weiter Ferne - aus der dunklen Höhlung. Ein namenloses Entsetzen hatte ihn gepackt. Wieder und wieder
rief ihn jemand bei seinem Namen. Wenn er nicht wahnsinnig werden wollte, musste er aus dieser Ruine heraus. [...]
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